Der richtige Moment für Kritik

Seit mehreren Monaten ging mir die gute Dame auf den Keks. Egal, was ich tat, sie machte eine spitze Bemerkung. Sie kritisierte mich auch (und wie ich zu merken meinte, besonders gern) dann, wenn ich von anderer Seite gelobt wurde.

Ich wollte sie seit langem darauf ansprechen. Heißt es nicht zu Recht, man soll Kritik möglichst zeitnah anbringen? Doch jedes Mal, wenn ich dazu ansetzen wollte, merkte ich: Die Zeit war noch nicht reif. Salomo sagt ja:

“Goldene Äpfel in silbernen Prunkschalen, so ist ein Wort zu seiner Zeit.” (Sprüche 25,11)

So wichtig wie der Inhalt: der Zeitpunkt
Der reife, der passende Moment scheint in Salomos Augen wertvoll zu sein! Wohl aus der Erfahrung heraus, dass häufig das Richtige zum falschen Zeitpunkt gesagt wird. Ganz zu schweigen vom Falschen zum falschen Zeitpunkt! Lassen wir mich mal im Glauben, dass meine Kritik berechtigt war.

Warum war die Zeit noch nicht reif dafür? Aus zwei Gründen:
1) Ich selbst war noch nicht reif. Ich war zu sauer, zu verletzt. Meine Kritik (an ihrer Kritik) wäre zu harsch rübergekommen. Erfolgsaussichten = 0.
2) Die gute Dame war noch nicht reif. Ich musste mir wirklich sicher sein, dass sie empfänglich für meine Kritik war. Keine Selbstverständlichkeit – meiner Erfahrung nach gerade bei Leuten, die selbst gut austeilen können.

Zuerst musste ich also reif werden, indem ich meinen Ärger überwand. Doch das würde nicht reichen. Die gute Dame musste ebenfalls reif sein, um meine Kritik annehmen zu können. Dass zu einer Kritik zwei reife Personen dazugehören, bestätigt Salomo in dem Spruch, der auf den zitierten folgt:

“Ein goldener Ohrring und ein Halsgeschmeide aus feinem Gold, [so ist] ein weiser Mahner für ein hörendes Ohr.” (Sprüche 25,12)

Eine reife Person reicht nicht
Die erste positive Nachricht: Ich wurde so langsam reif. Es nagte nicht mehr in mir. Aber ich war mir nicht sicher, ob die gute Dame reif sei – bis, ja, bis sonnenklar war, dass sie reif dafür war. Sie forderte mich sogar dazu auf! Und das kam so. Ich war zufällig dabei, wie sie eine andere gute Dame scharf kritisierte und kontra bekam. Einige Minuten später standen wir zufällig beieinander, und sie fragte mich: “War das so okay?” Ich versuchte so liebenswürdig ich konnte mitzuteilen, dass sie zu scharf gewesen sei. Und sie hatte ein hörendes Ohr! Ich konnte ihr nun – reif, wie wir beide waren – ohne jeden Ärger sagen, dass sie auch mir gegenüber mehrmals so scharf reagiert habe. Und sie hatte ein hörendes Ohr! Sie bedankte sich sogar für meine Kritik! Sie glauben nicht, wie happy ich war! Ich hatte Geduld, bis die Zeit reif war. Und ich wurde dafür belohnt: Unsere Beziehung ist besser als zuvor.