Die sechs schlechtesten Antworten

Stellen Sie sich vor, Sie erzählen Ihrem Gesprächspartner etwas und erhalten die Antwort: “Da fällt mir ein, wie ich damals …”

Der Psychologe Michael P. Nichols führt diese Antwort als Beispiel für egoistisches Zuhören an. In seinem Buch “Die wiederentdeckte Kunst des Zuhörens” (Stuttgart 2000) widmet er dieser und ähnlichen Antworten ein eigenes Kapitel: “‘Wann komme ich zu Wort?’ Die Hauptsache beim Zuhören: Das Bemühen unsere eigenen Bedürfnisse zurückzustellen” (S. 82-99).

Allen diesen Antworten ist eins gemeinsam: Der Antwortende will vor allem selbst zu Wort kommen, und zwar möglichst schnell. Salomo sagt dazu:

Wer Antwort gibt, bevor er zuhört, dem ist es Narrheit und Schande.” (Sprüche 18,13)

Hier nun die von Nichols zitierten Antworten, jeweils mit einem Auszug seines Kommentars:

1 “Da fällt mir ein, wie ich damals …”
Eigentlich doch naheliegend: Man knüpft an das zuvor Gesagte an, oder? Aber: “Wenn irgend jemand Ihnen aufgeregt erzählt, daß sein Auto gerade abgeschleppt wurde, möchte er nicht unterbrochen werden oder sich anhören, daß Ihnen vor drei Jahren ein ähnliches Mißgeschick passierte.” (Nichols, S. 91f.)

2 “Ach, wie schrecklich für dich!”
Das hört sich zunächst gut an! Der Antwortende drückt schließlich sein Mitgefühl aus. Aber: “Solche Sympathiebekundungen sind ein Geschenk, das den Geber meist glücklicher macht als den Empfänger. [...] Aber so tun, als sei man bekümmert, ist nicht dasselbe wie wirklich zuhören. Zuhören heißt, das Gesagte aufnehmen, nicht übernehmen.” (Nichols, S. 93)

3 “Also, in diesem Fall würde ich …”
Ein gut gemeinter Ratschlag, was kann daran Schlechtes sein? Aber: “Nun ist unerbetener Rat nicht immer willkommen. Niemand möchte sich sagen lassen, was er tun soll. Niemand hört sich gern an, daß es ihm besser gehen könnte, wenn er nur täte, was ein “hilfreicher” Ratgeber ihm empfiehlt.” (Nichols, S. 94). Unerbetener Rat ist unerbeten, das ist klar. Was aber, wenn der Gesprächspartner ausdrücklich Rat wünscht? Dann ist es meiner Meinung nach okay zu beraten, und ich denke, Salomo würde mir zustimmen. Sonst könnte es ja gar nicht zur Beratung kommen – einem der Lieblingsthemen Salomos. Generell gilt jedoch: Rat ist häufiger unerbeten als der Antwortende denkt.

4 “Kennst du den schon …?”
Ein Witzchen zur Auflockerung, warum nicht? Aber: “Wir spüren, daß unser witziger Freund keine echte Gefühlsbeteiligung aufbringen kann, sondern mit seinen Redensarten lediglich vom Thema ablenken will. [...] Denn unser fröhlicher Spaßvogel läßt sich gar nicht auf die Gesprächssituation ein. Er ist nicht bereit, sich auf uns und unser Anliegen einzustimmen; für ihn dient alles, was wir vorbringen mögen, nur als Stichwort zu einem Witz.” (Nichols, S. 96)

5 “Kein Anlaß zur Besorgnis”
Beschwichtigung und Trost für den Gesprächspartner. Das kann doch nur gut gemeint sein, oder? Aber: “Der Versuch, einem anderen Menschen seine Sorgen auszureden, wird meist ganz richtig als Zurückweisung empfunden, nämlich: ‘Mach dir doch keine Sorgen um deine Sorgen.’ Besonders verletzend kann es sein, wenn andere uns einzureden versuchen, wir sollten uns keine Sorgen machen, und dann die Sache auf sich beruhen lassen und unbeschwert das Thema wechseln.” (Nichols, S. 97)

6 “Ich weiß schon, was du sagen willst”
Der Antwortende weiß, worauf sein Gesprächspartner hinaus will. Zwei, die sich ohne Worte verstehen! Aber: “‘Gar nichts weißt du!’ Waren Sie nie in Versuchung, Ihren Gesprächspartner so grob anzufahren, wenn er Ihnen ins Wort fiel, um einen von Ihnen angefangenen Satz in seinem Sinn zu vollenden? Im Gespräch die Gedanken eines anderen zu Ende zu denken ist eine schlechte Angewohnheit, die leider weit verbreitet ist. Als Zuhörer sollten wir uns davor hüten, Vermutungen darüber zu äußern, was ein anderer uns mitteilen möchte, und uns ganz auf Empfang einstimmen, damit der Partner seine Botschaft ungestört herüberbringen kann.” (Nichols, S. 167)

Das Gegenmittel: Interesse am Gesprächspartner
Warum ist es so schwer, gut zuzuhören? Warum rutscht uns das ein oder andere Mal eine der sechs Antworten heraus? Weil unser Egoismus stärker ist als unser Interesse am Gesprächspartner! So sagt Nichols, dass … “… das Interesse am Mitmenschen die wichtigste Voraussetzung guten Zuhörens ist. Um wirklich zuhören zu können, müssen wir uns für den Sprecher und das, was er zu sagen hat, interessieren. [...] Um Interesse für einen anderen aufzubringen, müssen wir unsere eigenen Interessen zurückstellen.”

Der Therapeut, der sich für sich selbst interessierte
Was Nichols sympathisch macht: Zu Beginn des Kapitels erzählt er, wie er selbst gegen diese “wichtigste Voraussetzung guten Zuhörens” verstieß: “Doch die eigentliche Schwierigkeit dieses ersten Interviews hatte nichts mit psychologischen Fragetechniken zu tun. Ich interessierte mich eigentlich gar nicht für das Leiden dieser Frau. Ich war vor allem daran interessiert, Therapeut zu werden.”

Weitere schlechte Antworten gesucht!
Ist unter den sechs schlechtesten Antworten (Ausdruck übrigens nicht von Nichols, sondern von mir) die schlechteste gar nicht vertreten? Haben Sie weitere Vorschläge für diese Hitliste?

Kommentare (3)

  1. Wahrscheinlich ist keine Antwort in jedem Fall passend. Die Kunst ist wohl, zu erkennen, wann man wie reagieren muss. Schließlich kann auch ein “Da fällt mir ein, wie ich damals…” im richtigen Moment eine angemessene Reaktion sein, wenn es das Verständnis über eine Situation ausdrückt – vorausgesetzt der Erzählende sucht Verständnis.

    Letztendlich kann also jede Antwort “schlecht” oder “gut” sein – je nach Moment oder Situation. Möglicherweise hängt es auch einfach vom Problem oder der Geschichte des Erzählenden ab. So sucht man zum Beispiel manchmal tatsächlich Rat/Lösungen – und manchmal will man einfach nur sein Herz ausschütten, ohne dass daraufhin vom Zuhörer gleich eine Problemlösung in die Wege geleitet wird.

  2. Stimmt, und weil “keine Antwort in jedem Fall passend” ist, ist es verdächtig, wenn bestimmt Antworten immer wieder gegeben werden – was eben bei den sechs zitierten Antworten der Fall ist (im Falle des Witzboldes überproportional oft die Variante 4).
    Nichols selbst stimmt Ihnen zu und sagt z.B. zu der von ihm kritisierten Antwort “Da fällt mir ein, wie ich damals…”, dass es in bestimmten Unterhaltungen durchaus legitim sei, dass die Beteiligten abwechselnd das Wort ergreifen, einander sogar unterbrechen.
    Anders hingegen sei es, wenn eine Freundin etwas Wichtiges erzählen möchte. Was die Sache so schwer macht, ist in der Tat die “Kunst zu erkennen, wann man wie reagieren muss”. Und das hängt vom anderen ab – eben von seinem Problem oder seiner Geschichte oder auch seiner Verfassung. Und um das richtig mitzubekommen, ist aufrichtiges Interesse am anderen erforderlich. – Leichter wird’s für den Antwortenden, wenn der Gesprächspartner ausdrücklich sagt, welche Form von Antwort er erwartet.

  3. Auch so eine schlechte Antwort ist: “ich weiss, man ….” kurze Zeit später kommt dann das zweite “ich…. oder “mir…” gefolgt von einer eigenen Geschichte und das junge Pflänzchen Gespräch muss neu gegossen werden, sonst wird es nix mit der robusten Pflanze.

    Zuhören zu lernen ist eine spannende Lebensaufgabe. Ihre Seite hilft dabei und – wie Ihr Beitrag zeigt – ist inspirierend. Das hilft auf dem Weg, mir zumindestens. Danke Herr Lengen.

    Peter Urban, Essen