Kooperationspartner verloren – Konkurrenten bekommen

Gitta Sereny ist Autorin einer Biographie über Albert Speer, den Chefarchitekten des Dritten Reiches und engen Vertrauten Adolf Hitlers. Diese Biographie hätte noch eine Spur besser werden können, sie hätte die einzige große Biographie über Speer bleiben können, – wenn, ja, wenn sie sich an einem Tag in Frankfurt besser beherrscht hätte.

Was war passiert? Gitta Sereny hatte sich mit dem Sohn Albert Speers, Albert Speer Jr., verabredet. Und der wollte den Publizisten Joachim Fest – aus welchem Grund auch immer – dabei haben. Das aber wollte Gitta Sereny nicht. Sie wollte ohne einen Dritten mit Albert Speer Jr. sprechen. Laut Joachim Fest konnte sie ihren Ärger nicht im Zaum halten. Fest berichtet in einer Protokollnotiz: “Als ich gestern Mittag in das Foyer des Frankfurter Hofs kam, war Frau Sereny schon da. Sie fuhr bei meinem Anblick unverzüglich hoch und fragte, ob ich ihretwegen erschienen sei. Als ich bejahte, zeigte sie sich gleichsam aus dem Stand heraus aufs höchste empört und herrschte mich an: «Verschwinden Sie! Ich habe Sie nicht hergebeten! Sie stören mich! Ich möchte mit Albert sprechen und nicht mit Ihnen! Sie haben hier nichts verloren!» Meinen Einwand, dass ich lediglich den Wunsch Herrn Speers folgte, tat sie ab und fuhr in ihrem Wortschwall fort: «Gehen Sie! Ich will sie hier nicht sehen! »” (Joachim Fest: Die unbeantwortbaren Fragen. Notizen über Gespräche mit Albert Speer zwischen Ende 1966 und 1981, Reinbek bei Hamburg 2006, Seite 258f.).

Die Szene endet so, wie sie angefangen hat: unschön. Laut Joachim Fest kam Albert Speer Jr. hinzu und wollte in der Tat das Gespräch nur in Anwesenheit von Fest führen. Dieses Gespräch habe sich – wen wundert´s? – mühsam dahingeschleppt. Darauf “stand Frau Sereny abrupt auf und rauschte gekränkt davon.” (ebenda)

Ich will hier nicht über den Ärger von Gitta Sereny urteilen. Vielleicht war er berechtigt. Vielleicht hätte ich mich an ihrer Stelle auch geärgert oder noch mehr geärgert. Doch darum geht es hier nicht. Es geht darum, ob man seinen Ärger zeigt und rauslässt oder nicht. In Salomos Worten:

“Der Narr – sein Unmut tut sich an demselben Tag [noch] kund, wer aber die Schmach verborgen hält, ist klug.” (Sprüche 12,16)

Ärger hat Folgen
Welche Folgen hatte das im Falle Sereny – Fest? Lassen wir Fest erneut zu Wort kommen: “Vielleicht hätte sie sich besonnen, wenn ihr bekannt gewesen wäre, dass ich in einer Aktentasche die vorstehenden Notizen [d.h. Protokolle von Gesprächen mit Albert Speer, Anmerkung von Ralf Lengen] bei mir hatte, die ich ihr für ihre Arbeit übergeben wollte: Sie solle, hatte ich ihr in einem kleinen Brief dazu geschrieben, nach Belieben damit verfahren, [...] nützlich könnten sie ihr in jedem Falle sein, und sei es nur, um Speers Ausführungen mit ihren eigenen Notizen zu vergleichen.” (ebenda)

Joachim Fest selbst sah damals nach eigenen Angaben keine Verwendung für diese Aufzeichnungen und plante, sie einem Archiv zu überlassen. Doch nun änderte er seine Meinung: “Gitta Serenys ungewöhnlicher Auftritt hatte das Vorhaben vereitelt. Als einige Jahre später ihr Buch über Speer herauskam, habe ich die vorliegenden Notizen noch einmal gelesen und bald darauf meinen Entschluss korrigiert, das Leben Albert Speers nicht zu beschreiben. Die Biographie ist 1999 erschienen.” (ebenda, Seite 259f.)
Also: Gitta Sereny bekam nicht nur nicht die Notizen, sie bekam außerdem Konkurrenz in Form von Fests Biographie über Speer. Und schließlich veröffentlichte Joachim Fest selbst die Notizen in einem Buch (aus dem die hier angeführten Zitate stammen).

Es gilt das Urteil des Hörers
Achtung: Wir haben nur eine Seite gehört, die von Joachim Fest! Sereny bekam nicht die Möglichkeit sich zu äußern. Stimmt. Ich würde in der Tat vorziehen, auch ihre Meinung hier zu präsentieren. Doch so hart es klingt: Es ist egal. Denn selbst wenn Joachim Fest diese Szene überzeichnet haben sollte: So kam es nun einmal bei ihm an! Und deswegen war er nicht mehr bereit, Sereny den geplanten Gefallen zu tun.