“Offen und notfalls auch unbequem”

Offen will ich sein und notfalls unbequem” – das sagte Bundespräsident Horst Köhler in einem Interview gegenüber Hugo Müller-Vogg. Dieses Interview ist 2005 – kurz nach Amtsantritt des Bundespräsidenten – als Buch erschienen.

Im Folgenden präsentiere ich Ihnen in vier Lektionen, was Köhler und Salomo in Sachen Kommunikation denken. Nur sicherheitshalber: Es handelt sich um meine Schlussfolgerungen, aber ich denke, der Bundespräsident würde sie unterschreiben. Salomo sowieso. Noch etwas: Lassen Sie sich nicht abschrecken von der ersten Lektion. Die Lektionen 2 – 4 sind kürzer!

Lektion 1: Seien Sie offen und notfalls unbequem – aber informieren Sie sich vorher gut!
Auf Seite 193 des Interview-Buches sagt Horst Köhler: “Ich will offen sein – und notfalls auch unbequem.” Kein Wunder, dass der Bundespräsident sich damit nicht nur beliebt macht. So heißt es in Wikipedia: “Horst Köhler nimmt häufig Stellung zu aktuellen politischen Fragen und eckt damit zuweilen bei Politikern aller Parteien an.”

Hat ihm das Anecken geschadet? Ich meine, nicht! Woran liegt das? Erstens, weil Leute es zu schätzen wissen, wenn jemand seine Meinung sagt. Das gilt sogar für Kritik, wie Salomo weiß:

“Wer einen Menschen zurechtweist, findet letztlich mehr Gunst als einer, der mit der Zunge schmeichelt.” (Sprüche 28,23)

Also: Einen Schönwetter-Bundespräsidenten können wir nicht brauchen. Das gilt nicht nur für Präsidenten, sondern auch für Kollegen und Partner. Wollen Sie auch den zweiten Grund wissen, warum Köhler das Anecken nicht schadet? Dazu muss man nachlesen, was er vor dem bereits zitierten Satz sagt. Auf die Frage “Was könnten denn Ihre Stärken sein” sagt er: “Die Fähigkeit, auf Menschen zuzugehen, zuzuhören, offen zu sein, zugleich die Vielfalt der Informationen und Vorschläge zu strukturieren, um zu beurteilen, was dem Land wirklich weiterhilft. Wenn ich mir auf diese Weise ein Urteil gebildet habe, werde ich damit auch nicht hinter dem Berg halten.”

Aha! Also nicht einfach raushauen, was man denkt, sondern sich vorher gut informieren! Und wo? Bei den Menschen! Wenn Sie das auch tun, können Sie mit Ihrer Offenheit nicht ganz danebenliegen. Außerdem: Das Motiv ist wichtig! Wenn Sie so wie der Bundespräsident “weiterhelfen” wollen, können Sie ruhig offen sein! Jetzt weiß ich schon, was Sie denken: “Na ja, als Bundespräsident kann er es sich leisten, offen zu sein. Und ich? Ich würde gern mal sehen, wie Horst Köhler als Angestellter mal schön offen gegenüber meinem Chef ist.”

Da habe ich etwas für Sie: Horst Köhler ist ja nicht als Bundespräsident zur Welt gekommen. Er hatte mal einen Chef. Und der hieß Helmut Kohl. Hatte er da auch schon die Traute? Er hatte! Bundeskanzler Kohl habe ihn dazu aufgefordert, ihm immer offen die Meinung zu sagen. Daran habe er sich gehalten, sagt Köhler: [...] ob als Sherpa oder in Ministergesprächen, ich habe mich schon deutlich geäußert.” Köhler erzählt von einer Kabinettssitzung zur Vorbereitung des Europäischen Rates in Edinburgh zum Jahresende 1992. In dieser Sitzung habe er Kohl nach einem Monolog von zwanzig Minuten über Geschichte, Kultur und Politik darum gebeten, über die EU-Finanzen zu sprechen. Kohl: “Herr Köhler, Sie haben wohl Streit mit Ihrer Frau.” Einige Minuten später ein erneuter Vorstoß von Horst Köhler. Kohl: Sie hatten aber anscheindend einen heftigen Streit mit Ihrer Frau.” Köhler probierte es ein drittes Mal, und es klappte. “Derartige Situationen haben mir wohl den Ruf einer gewissen Furchtlosigkeit vor Thronen eingebracht.”

Sie sehen: Nicht weil er Bundespräsident ist, ist Horst Köhler offen und unbequem. Sondern weil er offen und unbequem ist, ist er jetzt Bundespräsident.

Lektion 2: Wählen Sie die leisen Töne!
Wer hat Horst Köhler beeindruckt? Da hat er viele Antworten. Zunächst sein Grundschullehrer. Dann besonders Gerhard Stoltenberg. Und Graf Lambsdorff. Und Theo Waigel. Über letzteren sagt Köhler (Seite 138): “Theo Waigel ist kein Politiker der forschen und lauten Art. Er gebraucht und versteht wie kein anderer die leisen Töne und den Humor.”
Mit den leisen Tönen kommt man weit! Theo Waigel hat es geschafft, und Sie schaffen es auch:

“Eine sanfte Zunge zerbricht Knochen.” Sprüche 25,15

Lektion 3: Versprechen Sie so wenig wie möglich!
Hier entnehme ich dem Interview ein schlechtes und ein gutes Beispiel. Zunächst das schlechte Beispiel (Seite 129f.): Auf die Frage zur so genannten Spendenaffäre Helmut Kohls “Sollte es nicht eine Selbstverständlichkeit sein, zu einem gegebenen Ehrenwort zu stehen, gerade auch dann, wenn die Luft eisenhaltig wird?” sagte Horst Köhler: “Das liegt in der Logik des Ehrenwortes. Bedeutet aber auch, dass man mit seinem Ehrenwort sehr, sehr verantwortungsvoll umgehen sollte.”
Haben Sie es gemerkt? Horst Köhler kritisiert nicht, dass Helmut Kohl sein Ehrenwort gehalten hat. Er empfiehlt aber, “sehr, sehr verantwortungsvoll” mit seinem Ehrenwort umzugehen. Das empfiehlt Salomo auch:

“Eine Falle für den Menschen ist es, vorschnell zu sagen: Geheiligt! – und erst nach den Gelübden zu überlegen.” (Sprüche 20,25)

Und das Positivbeispiel? Das liefert Angela Merkel, als sie Horst Koehler fragte, ob er sich eine Kandidatur als Bundespräsident vorstellen könne (Seite 134). “Sie sagte ausdrücklich, dass sie mir kein Angebot mache. Sie fragte nur, ob ich mir eine Kandidatur vorstellen könne. Also sie hat mir da keine Versprechungen gemacht und hat sich mir gegenüber in keiner Weise festgelegt. Sie war da außerordentlich klar.” Setzen Sie sich vielleicht zu sehr unter Druck, schnell eine Zusage zu machen? Meinen Sie vielleicht, das komme beim Gesprächspartner gut an? Machen Sie es wie Angela Merkel: Seien Sie lieber vorsichtig! Horst Köhler wusste das zu schätzen und Ihr Gesprächspartner auch!

Lektion 4: Sagen Sie auch mal nichts – selbst wenn Sie gefragt werden!
“Offen und notfalls auch unbequem” heißt nicht: Alles raushauen, was einem gerade so einfällt oder was man denkt. Darüber haben wir oben schon gesprochen. Das gilt auch, wenn Sie gefragt werden. Horst Köhler macht es in dem Interview mit Hugo Müller-Vogg mehrmals so. Warum auch nicht? Warum sich unnötig die Zunge verbrennen? Salomo empfiehlt:

“Bei vielen Worten bleiben Fehler nicht aus, wer aber seine Lippen zurückhält, handelt klug.” (Sürüche 10,19)

An diesen Spruch hat sich Horst Köhler gehalten, als er auf die Frage “Wo liegen Schröders Schwächen” antwortete (Seite 131): “Da fragen Sie ihn besser selbst.”

Kommentare (2)

  1. Interessant wäre eine Gegenüberstellung von Lektion 1 und Lektion 4: Wo sind die Grenzen? Wann bin ich zu offen und verbrenne mir die Zunge? Und wann schweige ich, obwohl eigentlich Offenheit gefragt wäre? Das scheint mir interessant – und vielleicht Thema für einen Folge-Beitrag?

  2. Danke, ein Folgebeitrag wäre das Mindeste – ein Buch könnte man darüber schreiben! Denn:
    1) Jede Situation ist anders.
    2) Jeder Gesprächspartner ist anders.
    3) Sie selbst sind auch anders: mal so, mal so.

    Fangen wir mit letzterem an: Wenn Sie sauer, aufgebracht sind, dann ist ein guter Zeitpunkt zu schweigen: “Der Dummkopf lässt seinen ganzen Unmut heraus” (Sprüche 29,11) und “Ein hitziger Mann erregt Zank.” (Sprüche 15,18) In unserem Sprachgebrauch heißt das: “erst mal ‘ne Nacht drüber schlafen”.
    Ebenfalls schweigen sollten Sie, wenn Sie nicht gut informiert sind (Köhler-Lektion 1). Hier noch ein Salomo-Spruch dazu: “Auch ein Dummkopf, wenn er schweigt, kann als weise gelten.” (Sprüche 17,28)

    Kommen wir zum zweiten Punkt, dem Gesprächspartner: Machen Sie Ihre Offenheit davon abhängig, wie offen Ihr Gesprächspartner für Ihre Worte ist: “Zu den Ohren eines Dummkopfs rede nicht, denn er wird deine klugen Worte verachten!” (Sprüche 23,9) Sowieso gilt als salomonische Faustformel: eher weniger reden als mehr – so macht es der Salomo-Manager. Es ist eher wahrscheinlich, dass Sie sich darüber ärgern, etwas gesagt als geschwiegen zu haben. So geht es mir wenigstens.

    Kommen wir zum ersten Punkt, der passenden Zeit: “Schweigen hat seine Zeit, und Reden hat seine Zeit” sagt Salomo in Prediger 3,7 (man beachte die Reihenfolge!). Leider sagt er nicht, wann die richtige Zeit für was ist. Hier hat der gute Mann es vorgezogen zu schweigen! Vielleicht, weil es unmöglich ist, eine umfassende Liste vorzulegen. Vielleicht auch, um uns zu sensibilisieren, selbst auf den passenden Augenblick zu kommen. Da haben Sie den Salat! Sie müssen die Frage selbst beantworten. Jetzt gilt: “Reden hat seine Zeit.” Was meinen Sie?